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B.2.2 | „Das könnte den Herren der Welt ja so passen …“.
Sacro-Pop als Gesellschafts- und Kirchenkritik junger Katholiken*innen

Holzem, Andreas / Greber, Judith / Marquart, Melissa – Tübingen

„Das könnte den Herren der Welt ja so passen, wenn erst nach dem Tode Gerechtigkeit käme,
erst dann die Herrschaft der Herren, erst dann die Knechtschaft der Knechte vergessen wäre für immer. […] Doch ist der Befreier vom Tod auferstanden, […] und ruft uns jetzt alle zur Auferstehung auf Erden, zum Aufstand gegen die Herren, die mit dem Tod uns regieren.“ („Anderes Osterlied“; Text: Kurt Marti, Musik: Peter Janssens). Semantiken: Der Erlöser wird zum Befreier, die Auferstehung zum Aufstand. Praktiken: Es war – unter anderen – dieses Lied, das das höchste Fest der Christenheit zu einem Happening des Protests machte. Emotionen: Man fühlte das Anti-Establishment, wenn man das sang.

Der Generationenstreit seit „1968“ wurde auch auf dem Feld der Musik ausgetragen. Für Erwachsene war Jazz vielfach als ‚Negermusik‘ rassistisch denunziert, Rock und Pop galten als liturgisch „ungeeignet“, als kult- und kulturgefährdende Amerikanisierung. Musik war daher ein zentrales Protest- und Provokationsmedium.

Für Jugendliche und junge Erwachsene waren Sacro-Pop-Musicals und das „Neue geistliche Lied“ (NGL) von entscheidender, Grenzen des Katholizismus aufsprengender Bedeutung. Sie verknüpften auf eine provozierende Weise zentrale Muster der überkommenen religiösen Sprache mit gegenwartspolitischen Themen: Frieden, globale Gerechtigkeit, Ökologie, Sexualität. Sacro-Pop durchprägte die Gruppenkultur der BDKJ-Verbände, der Friedens- und der Umweltbewegung sowie der befreiungstheologisch orientierten Solidaritätsaktionen.

Dieses Teilprojekt zeigt die Konfliktdynamik, mit der Rituale neue Trägergruppen und Rollen mobilisierten und wie heftig das abgewehrt wurde. Die Gegner des Sacro-Pop formierten eine massive Front der Ablehnung und Denunziation. Sie verteidigten die Werte der Liturgischen Bewegung der 1920er bis 1950er Jahre und das Selbstbild, sich gegen Hitler behauptet, den westdeutschen Wiederaufbau getragen zu haben. Sacro-Pop stattdessen integrierte jene, die mit dem II. Vatikanum im Rücken die Überhangprobleme der bundesrepublikanischen
Ordnung attackierten.